Feldpostkarte, Bohnenschnitzler, Brautschleier: Über die Forschung an Objekten aus der eigenen Familiengeschichte erleben die Schülerinnen und Schüler der Realschule Lenningen Alltagsgeschichte auf sehr persönliche Art und Weise.
Kaum ein anderes Schulfach polarisiert so sehr wie Geschichte: Die einen finden es aufregend, interessant und faszinierend, die anderen – nun ja, bleiben wir diplomatisch – die anderen weniger. Um die Verdrossenheit der abgeneigten Schüler aufzubrechen, ging man an der Realschule Lenningen nun neue Wege: Mit dem Ziel eine Ausstellung zum Tag der offenen Tür aus mindestens 25 Jahre alten Gegenständen aus Familienbesitz zu verwirklichen, besuchte die Klasse 9b zunächst einen Workshop im Haus der Geschichte und ließ sich anschließend beeindruckende Stücke im Hauptstaatsarchiv vorführen. Daraufhin arbeiteten die Schüler mehrere Unterrichtsstunden wie waschechte Historiker an Geschichte und Inszenierung der eigenen Exponate, indem Informationen eingeholt und Beschreibungen erstellt wurden. „Durch dieses Vorhaben waren die Schüler aufgefordert, mit den Eltern bzw. Großeltern etwas passendes auszuwählen und darüber ins Gespräch zu kommen. Somit wurde das abstrakte Fach konkret und erfahrbar“, erklärt der Initiator Alexander Tomisch.
Da keine Vorgaben hinsichtlich der zu präsentierenden Stücke gemacht wurden, ergab sich eine große Bandbreite unterschiedlichster Gegenstände. So findet sich beispielsweise neben einem Bügeleisen, dessen Inneres zur Inbetriebnahme erst in einem Holzofen erhitzt werden musste, auch ein Exemplar der Österreichischen Volkszeitung vom 6. August 1914, die über die ausbrechende „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ berichtet. Besondere Aufmerksamkeit zog der Brautschleier auf sich, den Kara Goller beisteuerte. „Er gehörte meiner Oma und wurde zum Andenken an ihre Hochzeit eingerahmt“, erklärt die Realschülerin und ist sichtlich stolz auf ihren Beitrag. Doch auch die jüngste Geschichte blieb nicht unberücksichtigt: Timo Angelmaier verwies mit einem Super Nintendo auf längst vergangene Tage, die bei vielen Erwachsenen lebhafte Erinnerung wachrufen dürften. Seine Klassenkameraden aus der High-Definition-Ära können mit den Pixelhaufen jedoch nur wenig anfangen.
„Die Durchführung eines solchen Projekts ist der Fortentwicklung des Geschichtsbewusstseins besonders dienlich. Die Schüler begreifen ganz nebenbei, dass das Verständnis von der Welt, die Auffassung von bestimmten Sachverhalten sowie auch etwaiges Handeln nicht in Stein gemeißelt ist, sondern ständiger Veränderung unterliegt,“ bemerkt Stephanie Pascher. Die Lehramtsanwärterin hat soeben ihr Erstes Staatsexamen in Geschichte abgelegt und betreut nun zu Beginn ihres Referendariats sogleich Aufbau und Durchführung des kleinen Ein-Tages-Museums in der Realschule.
Als sich die Ausstellung langsam ihrem Ende neigt, sind die Schüler mit dem Ergebnis selbst nicht ganz zufrieden. Längst nicht alle Besucher des Schulcampus haben sich ihre Mitbringsel und Ergebnisse an diesem Tag der offenen Tür näher betrachtet, worüber Irritation herrscht. Schließlich hält der Großteil der Heranwachsenden ihr Werk für mehr als sehenswert. „Für viele der teilnehmenden Schüler hat Geschichte nun vermutlich einen anderen Stellenwert. Aus diesem Grund wollen wir an der Realschule möglichst viele solche Zugänge zu diesem Lernfeld eröffnen“, erläutert Rektorin Dunja Salzgeber, die selbst leidenschaftliche Geschichtslehrerin ist.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass mit einem solchen pädagogischen Schachzug alle Schüler erreicht werden, doch ist eine Sensibilisierung zweifelsfrei gelungen. Den beteiligten Schülern dürfte spätestens jetzt klar sein: Geschichte, das haben wir alle – ein Leben lang und darüber hinaus.