Bericht aus „Der Teckbote“ vom 10.07.2012
Eine E-Mail aus Kanada
Vor einem Jahr schickte das Büro des kanadischen Musikers Brian Doerksen eine E-Mail ins Lenninger Tal: Ja, die Jugendlichen dürften den Liederzyklus „Father’s House“ gerne verwenden. Doerksen wünschte viel Mut und Spaß. Damit war der Weg für das gemeinsame Musicalprojekt von Realschule, Kirchengemeinde und CVJM Owen frei.
Eine Stunde pro Woche ist die Religionslehrerin Susanne Jaißle an der Karl-Erhard-Scheufelen-Realschule mit Schulseelsorge beauftragt. In ihrer AG in der Mittagspause, in der Schüler miteinander über ihre Probleme sprachen, entwickelte sich der Wunsch, einmal etwas aufzuführen. Schnell war klar, dass ein solches Projekt mehr Leute erforderte. So kam zu den Neuntklässlern der Realschule ein Tanzteam, das in der evangelischen Kirchengemeinde Unterlenningen entstand, dazu der Jugendchor des CVJM Owen unter Leitung von Christine Keuerleber. Susanne Jaißles Ehemann Hartmut, der E-Piano spielt, stellte eine fähige Band zusammen. Schüler der Förderschule Lenningen malten zu einem der Lieder beeindruckende Bilder. Insgesamt trugen etwa einhundert Menschen dazu bei, das Musical zum Leben zu erwecken. Das Interesse an den beiden Aufführungen in der Sulzburghalle war groß: Zur ersten Aufführung kamen etwa 250 Zuhörer, zur zweiten am selben Abend etwa 180.
„Father’s House“ basiert auf dem „Gleichnis vom verlorenen Sohn“, das Jesus erzählt hat und das in der Bibel in Lukas 15 nachzulesen ist. Der Sohn lässt sich sein Erbe auszahlen, verprasst sein Geld und landet in der Krise bei den Schweinen. Als er voller Reue zurückkehrt, nimmt ihn der Vater – ein Bild für Gott – freudig wieder auf und feiert sogar ein Fest. Die bekannte Überschrift „Vom verlorenen Sohn“ verschweigt, dass es einen zweiten verlorenen Sohn gibt: Er war immer beim Vater geblieben und fühlt sich nun benachteiligt.
Wer von diesen beiden Söhnen bin ich, fragt das Musical, finde ich vielleicht beide in mir? „Jeder von uns hat so eine weiße und eine schwarze Seite“, sagte Jaißle bei der Einführung. „Jeden Tag stellt sich die Frage, wer den Kampf gewinnt.“ Die Lösung liege in der Liebe. Einer Liebe, die nicht aus einem selbst erwachse, sondern vom himmlischen Vater geschenkt werde. Die Szenen, in denen die schwarzen und weißen Seiten und Personen kräftig miteinander streiten, hatten die Schüler bei ihren Proben spontan selbst entwickelt, Jaißle notierte die Dialoge. Mit der Zeit entwickelten sich die einzelnen Charaktere: Lilly träumt ständig von Freiheit, wird dadurch aber sehr einsam. Lena will so angenommen werden, wie sie ist. Simon versucht, wirklich gut zu sein, aber fühlt sich fern von Gott und vom Leben. Also noch mehr anstrengen, ist das die Lösung? „Ich muss mich um mich selbst kümmern und nicht um die anderen“, sagt hingegen Annika.
Die englischen Liedtexte hat eine Schülerin ins Deutsche übersetzt – sie wurden parallel zu den Liedern an die Wand projiziert. Nicht nur die verlorenen Söhne leiden, so das Lied „Song for the Prodigals“, auch der Vater leidet unter deren Verlorenheit und sehnt sich nach ihnen. Das Tanzteam hatte diesen und andere Liedtexte mit vielen Ideen überzeugend umgesetzt. Es dauerte, bis Schwarz und Weiß erkannten, dass weder „Saufen und Spaß haben“ noch „Leistung um jeden Preis“ zu innerem Glück und Frieden führen. Doch am Ende des Musicals erkennen beide Seiten den Wert der Liebe und versöhnen sich.
Vor Beginn hatte Jaißle die Zuhörer um Erbarmen gebeten, es gehe „um Liebe, nicht um Kampf“. Diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als völlig unnötig. Das Publikum applaudierte kräftig nach der gelungenen Aufführung, in der kleinere Patzer völlig untergingen.